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Sonntag, 20. Dezember 2020

* 4. Advent *

 


Knecht Ruprecht


Ruprecht: Habt guten Abend, alt und jung
bin allen wohl bekannt genung.
Von drauß vom Walde komm ich her;
ich muß Euch sagen es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen;
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
Knecht Ruprecht, rief es alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
und morgen flieg ich hinab zur Erden,
denn es soll wieder weihnachten werden!
So geh denn rasch von Haus zu Haus.
such mir die guten Kinder aus,
damit ich ihrer mag gedenken
mit schönen Sachen sie mag beschenken.


(Theodor Storm)



Sonntag, 13. Dezember 2020

* 3. Advent *

 Die weiße Weihnachtsrose


Wenn über Wege tief beschneit

Der Schlitten lustig rennt,

Im Spätjahr in der Dämmerzeit,

Die Wochen im Advent,

Wenn aus dem Schnee das junge Reh

Sich Kräuter sucht und Moose,

Blüht unverdorrt im Frost noch fort

Die weiße Weihnachtsrose.


Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;

In ihrem Dornenkleid

Nur sie, die niedre Distel nur

Trotzt allem Winterleid;

Das macht, sie will erwarten still,

Bis sich die Sonne wendet,

Damit sie weiß, daß Schnee und Eis

Auch diesmal wieder endet.


Doch ist's geschehn, nimmt fühlbar kaum

Der Nächte Dunkel ab,

Dann sinkt mit einem Hoffnungstraum

Auch sie zurück ins Grab.

Nun schläft sie gern, sie hat von fern

Des Frühlings Gruß vernommen,

Und o wie bald wird glanzumwallt

Er sie zu wecken kommen!


Hermann Lingg (1820 - 1905), seit 1890 Ritter von Lingg, deutscher Dichter, Mitglied des Münchener Dichterkreises »Die Krokodile«, verfasste u. a. das Epos »Die Völkerwanderung«


Quelle: Lingg, H., Gedichte. zwischen 1853 und 1885






Sonntag, 6. Dezember 2020

*2. Advent*

 Advent


Es treibt der Wind im Winterwalde

die Flockenherde wie ein Hirt 

und manche Tanne ahnt, wie balde

sie fromm und lichterheilig wird,

und lauscht hinaus. Den weißen Wegen 

streckt sie die Zweige hin – bereit, 

und wehrt dem Wind und wächst entgegen

der einen Nacht der Herrlichkeit.


Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker; gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne


Quelle: Rilke, Die Gedichte. Nach der von Ernst Zinn besorgten Edition der sämtlichen Werke, Insel Verlag 1957. Advent, 1913




Dienstag, 1. Dezember 2020

*Advent*


Letzte Blüten

Noch eine Ros' am kahlen Strauch
Fand im Advent ich aufgeblüht,
Noch eines Liedes zarter Hauch
Klang mir verstohlen im Gemüt.

Der Rose Blätter taumeln hin,
Da ich sie kaum berührt, ins Beet,
Das Liedchen schwand mir aus dem Sinn –
Für Sommerkinder ist's zu spät!

Paul Heyse (1830 - 1914), eigentlich Paul Johann Ludwig von Heyse, deutscher Romanist, Novellist und Übersetzer, Nobelpreisträger für Literatur 1910

Quelle: Heyse, P., Gedichte. Ein Wintertagebuch. Entstanden 1901-1902, Erstdruck 1903