Sonntag, 13. Dezember 2020

* 3. Advent *

 Die weiße Weihnachtsrose


Wenn über Wege tief beschneit

Der Schlitten lustig rennt,

Im Spätjahr in der Dämmerzeit,

Die Wochen im Advent,

Wenn aus dem Schnee das junge Reh

Sich Kräuter sucht und Moose,

Blüht unverdorrt im Frost noch fort

Die weiße Weihnachtsrose.


Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;

In ihrem Dornenkleid

Nur sie, die niedre Distel nur

Trotzt allem Winterleid;

Das macht, sie will erwarten still,

Bis sich die Sonne wendet,

Damit sie weiß, daß Schnee und Eis

Auch diesmal wieder endet.


Doch ist's geschehn, nimmt fühlbar kaum

Der Nächte Dunkel ab,

Dann sinkt mit einem Hoffnungstraum

Auch sie zurück ins Grab.

Nun schläft sie gern, sie hat von fern

Des Frühlings Gruß vernommen,

Und o wie bald wird glanzumwallt

Er sie zu wecken kommen!


Hermann Lingg (1820 - 1905), seit 1890 Ritter von Lingg, deutscher Dichter, Mitglied des Münchener Dichterkreises »Die Krokodile«, verfasste u. a. das Epos »Die Völkerwanderung«


Quelle: Lingg, H., Gedichte. zwischen 1853 und 1885






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